„Der Profifußball wird Europa hinter sich lassen“ – Forschung zur Kommerzialisierung im Fußball
Der europäische Profifußball sorgt mit immer höheren Ablösesummen und spektakulären Transfers, vor allem in den arabisch-asiatischen Raum, für Diskussionsstoff. Prof. Dr. Ludwig Hierl, Professor für Accounting, Controlling und Finance am DHBW CAS und der DHBW Heilbronn, beschäftigt sich seit Jahren aus wissenschaftlicher Sicht mit dem Thema. Er warnt vor einem Bedeutungsrückgang der Champions League und fordert eine sehr viel stärkere Öffnung des europäischen Fußballs, insbesondere gegenüber arabisch-asiatischen Ländern und Kulturen.
Ludwig Hierl nimmt seit einigen Jahrzehnten eine stetige Kommerzialisierung im Profifußball wahr, die jedoch vor allem in den vergangenen Jahren nochmals deutlich zugenommen hat: „Einen Wendepunkt markiert dabei der Transfer von Neymar zu Paris Saint-Germain im Jahr 2017, den mit über 220 Millionen Euro bis dato teuersten Transfer. Seither scheint es keine finanziellen Grenzen mehr zu geben“, sagt der Wirtschaftsprofessor.
Ein besonders bemerkenswertes Phänomen sieht Hierl in der Tatsache, dass nicht mehr nur erfahrene Spieler wie beispielsweise Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi ihre Karriere im außereuropäischen Ausland ausklingen lassen, sondern vermehrt junge Spieler von kaufkräftigen Clubs abgeworben werden. „Dieser Trend wird in den nächsten Jahren wohl weiter zunehmen, selbst wenn einige von ihnen wieder zurückkehren oder beispielsweise ein Kylian Mbappé von einem Verbleib in Europa überzeugt werden kann. Es ist zu erwarten, dass viele Top-Spieler nicht mehr in der europäischen Champions League vertreten sind, sondern insbesondere bei arabischen Clubs und damit in der dortigen AFC Champions League spielen werden. Das wird zwangsläufig mit einem Bedeutungsverlust der UEFA Champions League einhergehen“, ordnet Hierl die Entwicklung ein.
Profifußball erschließt neue Märkte, Einführung der Super League wahrscheinlich
Die Dynamiken dieser zunehmenden Monetarisierung sind nach der Überzeugung von Ludwig Hierl nicht mehr aufzuhalten. „Am Ende wird das Geld maßgeblich über die Motivation entscheiden und die größten finanziellen Ressourcen liegen momentan nun einmal im arabisch-asiatischen Raum“, sagt Hierl. Um hier wettbewerbsfähig bleiben zu können, sieht der Professor Veränderungsbedarf in der Champions League: „Wenn die Top-Spieler nicht mehr in europäischen Clubs spielen, wird der Druck steigen, die Champions League um diese Clubs zu erweitern oder finanziell abzusteigen“, warnt Hierl und ergänzt: „Die im April 2021 offengelegten Pläne für die Super League waren ein erster Versuch, ein neues Wettbewerbsmodell zu etablieren. Es ist davon auszugehen, dass die Pläne demnächst in angepasster Form präsentiert werden. Zumal der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Grundsatzentscheidung im Dezember 2023 die Monopolstellung von UEFA und FIFA als nicht vereinbar mit europäischem Wettbewerbsrecht einstufte.
Das etablierte und erst kürzlich erneut reformierte Financial Fairplay-Modell der UEFA gehört nach der Auffassung von Hierl ebenfalls grundlegend überdacht, nachdem das System auf den europäischen Raum beschränkt ist: „Wir sehen uns im Wettbewerb mit einem vollkommen unterschiedlichen Wirtschafts- und Sportraum, da hilft uns eine derartige Regelung nicht weiter. Zumal sie nicht einmal in Europa die gewünschte Wirkung entfaltet.“
Eurozentristische Perspektive korrigieren
In der aktuellen Debatte um den Profifußball vermisst Ludwig Hierl eine sachliche und emotionsfreie Diskussionskultur und prangert kulturimperialistische Tendenzen an: „Wir müssen akzeptieren, dass Länder einen hoch kommerzialisierten Profifußball für sich entdecken, die nicht aus unserem Kultur- und Wertekreis stammen. Das heißt nicht, dass wir etwaige Missstände stillschweigend hinnehmen müssen. Aber wir dürfen uns nicht dazu hinreißen lassen, anderen Kulturen das Recht auf die Entwicklung einer eigenen Fußballkultur abzusprechen.“ In der Öffnung des europäischen Fußballs gegenüber außereuropäischen Ländern und Kulturen sieht Hierl die größte Herausforderung der kommenden Jahre. Dies bedingt zwangsläufig andere als bislang bekannte Formate, inklusive dem bisherigen, auf Europa fokussierten Gründungsansatz einer Super League.